unterwegs: rück- und ausblicke


Der erste Teil des Projekts wurde mit der Absolvierung des ingesamt 1.250 km langen Fußmarsches durch meine Ankunft in Rom am 24. Juni 2014 erfolgreich abgeschlossen: In vier Teilabschnitten hatte ich nach Überschreiten des Brennerpasses die italienischen Provinzen Südtirol, Venetien, Toskana, Emilia-Romagna, Umbrien und schließlich Latium durchquert. Während der 54-tägigen Reise entstanden knapp 240 in Ausführung und Material unterschiedliche, kleinere Werke - u.a. Kugelschreiberskizzen, Federzeichnugen, Bleistift-, Aquarell- und Temperaarbeiten; zumeist auf Papier - die durch ein vor mir schon während der Fußreise in Tagebucheinträgen verfasstes Journal ergänzt werden.

 

Der Weg wurde von Beginn an zum maßgeblichen Taktgeber der künstlerischen und thematischen Ausführung: Schon allein der für die Fußreise notwendige Transport der Arbeitsmaterialien im Rucksack gab eine gewisses Maximalgewicht (ca. 2 Kilogramm) und die Größe der Malutensilien (bis zu ca. 62,5 x 47 cm große Papierarbeiten) vor. Hinzu kam ein kontinuierlicher Wechsel von Bildträgern und Zeicheninstrumenten, der sich zumeist durch den Verbrauch und auch Verschleiß gewisser Materialien ergab, die sich erst wieder in der nächsten auf der Strecke liegenden Großstadt entsprechend ersetzen ließen.

 

Neben diesen materiellen Rahmenbedingungen spielten natürlich auch Wetter und Temperatur, Streckenverlauf, Infrastruktur entlang des Weges sowie die landschaftlichen und städtischen Begebenheiten eine wesentliche Rolle für die Bildinhalte der Arbeiten. So entstanden in kulturell oder vom Landschaftsbild her prägnanten Regionen beispielsweise vermehrt Arbeiten, mit denen ich den eigentümlichen Charakter der Region, des Kunstwerks oder der Natur gleich einem visuellen Vokabular festzuhalten versuchte. In körperlich anspruchsvollen oder monotonen Streckenteilen konzentrierte sich die künstlerische Ausführung hingegen häufig auf das Festhalten meines persönlichen Befindens, oftmals als Reflexion von besonders eindringlichen Momenten der Erschwernis aber auch Erkenntnis.

 

Aus dem Zusammenspiel solcher äußerer und materialbedingter Faktoren resultiert letztlich auch die thematische Bandbreite der entstandenen Werke: Diese reicht nun von Studien der mir begegnenden Landschaften, Kulturen und Kunstwerke, über sehr spontane und unmittelbare Bildkompositionen und -ideen in kleineren Skizzenbüchern (die zumeist griffbereit in der Seitentasche mitgetragen wurden) bis hin zu größeren, und mehrere Überarbeitungen erfahrenen Arbeiten, die beispielsweise durch die Befestigung an der Rucksackaußenseite allein durch den Einfluss des Wetters und der Abnützung des Transports eine mehrwöchige, langsame Veränderung erfuhren.

 

Den in Ausführung und Themen sehr vielfältigen und unterschiedlichen Arbeiten ist zudem gemein, dass jede von ihnen einen Teil des Weges, manchmal sogar den ganzen Weg mit mir zusammen zurückgelegt haben. Abnutzungserscheinungen durch den Transport, Beschädigung durch Regen und Schmutz, aber auch Schweiß, sind somit keine Ausnahme, sondern vielmehr eindrückliche Beweise für die schtbare Einflussnahme des Weges selbst. Als Impuls- und Ideengeber, als visuelles Material, aber auch als fassbare Gegenstücke zu den geplanten Bildern ist der unterwegs entstandene Corpus an Arbeiten daher ein zentraler und eigenständiger Bestandteil des Projekts NEUE WEGE und zugleich Ausgangspunkt für den darauf aufbauenden Bildzyklus.


                                                                                                                                   [Florian Köhler, 2015]

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