Umgangssprachlich versteht man unter „Zaungast“ einen Menschen, der ein Ereignis oder einen Ablauf zwar verfolgt und beobachtet, jedoch keinen aktiven Einfluss darauf ausüben kann oder bewusst auf eine Teilnahme verzichtet. Betrachtet man den aktuellen gesellschaftspolitischen Diskurs, wurden unzählige, zu Landesgrenzen strömende Menschen zu so einem Dasein als Zaungäste degradiert - sprich: Gast zu sein an der Grenze eines Landes, darüber hinaus jedoch kaum Rechte oder generell Mitspracherecht zu haben.
Die lebensgroße und komplett in Stoff gehüllte Plastik befand sich aus diesem Grund direkt am Verlauf des Grenzzauns zwischen Österreich und Italien und setzte sich zum Ziel, die Besucher des Kunst-Parcours für den Umgang mit dem Fremden zu sensibilisieren. Freie Assoziationen zum Thema Ein-, Aus-, und Abgrenzung, das Hinterfragen des dem Menschen innewohnenden Misstrauens vor dem Unbekannten und Neugier, das Unbekannte oder bzw. Andere für sich zu entdecken, waren dabei durchaus erwünscht.
Die Konzeption der Figur erfolgte zunächst im Medium der Zeichnung, das sich die Evokation des Gefühls von Fremdheit mittels des Verhüllens der Körperform durch Tücher und Kleidung zum Ziel setzte. Erst durch die Bewegung und Führung des Stoffes sollte die Figur für den Betrachter perzipierbar werden, das Tuch an sich zugleich einen künstlerischen Selbstwert entfalten. Die eingehüllte, menschliche Figur wurde durch das sich verselbstständigte Medium des Stoffes zum Einen abstrahiert und unkenntlich macht, zum Anderen unterlag sie dem intendierten Prozess einer langsamen Entmenschlichung und Anonymisierung.
Ausgehend von den Vorarbeiten mittels Zeichnungen wurde die lebensgroße Figur aus den Materialien Papier, Karton, Klebeband, Draht und Leinen angefertigt: Der Plastik liegt ein "Skelett" aus geknülltem Papier und Karton zugrunde, das von einem der menschlichen Körperform nachempfundenen Drahtgitter umschlossen wird. Die Figur wurde anschließend von einem groben, durch einen Textilfirnis gehärteten Leinenstoff, der auch für meine Arbeiten in Malerei zur Anwendung kommt, umhüllt und abgeschlossen, die vom verhüllenden Stoff freigelassenen Körperpartien schließlich durch das stückchenweise Anfügen von gerissenem Papier und Klebeband realistisch geformt.
Die im Freien und am Verlauf des Grenzzauns zu Italien installierte Figur spielte nicht nur inhaltlich mit der Themenstellung »Grenzen«, sondern war ein erster Versuch die in der Zeichnung vorbereitete Freiheit im Umgang mit Textilien auch in der plastischen Umsetzung zur Geltung kommen zu lassen. Der »ZAUNGAST« wird von dem ihn umgebenden Stoff verhüllt, er entsteht gleichsam aber auch aus ihm heraus. Figur und Stoff bilden eine visuelle Synthese sowie eine materielle und konzeptionelle Einheit.
[Florian Köhler, Juni 2017]