Von einer Stadt, in der man in den 1950ern aufgrund menschenunwürdiger Bedingungen die dortige Bevölkerung aus ihren Höhlenwohnungen aussiedelte, heißt es heutzutage, wer einmal dort gewesen wäre, würde immer wieder kommen wollen. Tatsächlich gilt Matera als städtebauliches Kleinod der im Süden Italiens gelegenen Provinz Basilicata und seine Höhlen und Bauten in den berühmt berüchtigten Sassi zählen mittlerweile zum UNESCO Weltkulturerbe und zu den Publikumsmagneten der europäischen Kulturhauptstadt 2019.
Der heutige Besucher erfährt Matera als ein gigantisches Labyrinth aus einem Gewirr von Gassen, Plätzen, Höhlen und Felsenkirchen, gleichend einem Organismus aus Stein, der als eine riesige Skulptur von jenen Menschen herausgearbeitet wurde, die hier seit über 9000 Jahren durchgehend gelebt haben. Diese Kontinuität der Besiedelung durch den Menschen macht zugleich seine archaische Magie aus. Seit „Anbeginn der Zeit“ lebt der Mensch mitten im Stein - eine enge Symbiose mit der Natur, die angesichts der monumentalen, natürlichen Gegebenheiten einfach umwerfend und zugleich erschreckend nah ist.
Mit dem Projekt FELSGEBURT begebe ich mich im Herzen Materas - mitten in den Sassi - auf eine künstlerische Spurensuche, mit dem Ziel, meine Eindrücke dieser existenziellen Einfachheit des Lebens einzufangen und in meinen Arbeiten zu ergründen: Was ich dort vorfand, waren kalte Häuser aus Stein, verlassene und zerfallene Kirchen, zerfurchte Schluchten und vergessene Wege, die von den Bewohnern erzählen, die hier einst lebten. Der Mensch wurde in den Fels hinein geboren, wuchs mit den natürlichen Gegebenheiten der felsigen Umgebung auf und lernte mit ihr umzugehen. Mensch und Stein, Lebensraum und Natur erscheinen in Matera nicht als voneinander getrennte Sphären, sondern bedingen und formen sich gegenseitig.
Am Anfang dieses Kreislaufs des Entstehens, der Veränderung und des Vergehens steht für mich der Moment der Felsgeburt, der schöpferische und künstlerische Impetus, aus dem das Leben in den Sassi seinen Anfang nahm. Meine Arbeiten versuchen sich diesem grundlegenden Gedanken mittels Zeichnung und Malerei zu nähern und so ein gefühltes Bild eines Ortes zu zeigen, der dem Menschen auch heute noch auf eindrückliche Weise seinen Ursprung vor Augen führt und ihm auf der Suche nach dem Sinn seine Ziele erahnen lässt.
> Informationen zu den Ausstellungen 2019 [Florian Köhler, Juni 2019]
oben: Blick auf den Sasso Caveoso & Dom, Kugelschreiber auf Papier, 28 x 21,5 cm | unten: Metamorph »Sasso Uomo«, Kohlestift & Tempera auf Papier, 23,7 x 17,6 cm..